Merry old England im Achtgang

Ziel der ungemein abwechslungsreichen Radtour: die Isle of Wight mit ihren markanten Kreidefelsen. (Foto Katharina Büttel)
Ziel der ungemein abwechslungsreichen Radtour: die Isle of Wight mit ihren markanten Kreidefelsen. (Foto Katharina Büttel)

Plump ist mein E-Bike mit seinem schweren Rahmen, dem rückgebogenen Lenker und breiten Sattel, mit Rücktritt und Achtgang. Aber schon bald ist es meine Rosinante, wie Don Quichottes müder Gaul, treu und zuverlässig – ob auf Asphalt, Schotter oder steilen Dorfstraßen.

Besser noch: aufrecht sitze ich, den Blick frei über die sanft geschwungene, üppig grüne Parklandschaft im Süden von England. Frei für Heckenwege, die sich durch die Felder schlängeln. Auf den Wiesen stehen Eichen, überall glänzt sumpfiges Grün um kleine Wasserläufe – hinter Baumgruppen blitzen verträumte Schlösschen und Landsitze.

Hoch über der Hafenstadt thront Dover Castle - eine der mächtigsten englischen Festungen. (Foto Katharina Büttel)
Hoch über der Hafenstadt thront Dover Castle – eine der mächtigsten englischen Festungen. (Foto Katharina Büttel)

Start ist in Dover, Fährhafen bei den weißen Klippen – und es nieselt. Über der Stadt thront die mittelalterliche Burganlage, neben dem Tower von London eine der größten und besterhaltenen Europas. In den mit altem Mobiliar, glänzenden Fahnen und bunten Wandbehängen geschmückten Burgsälen erfahren wir, dass Sachsen und Römer die Anlage bauten, Wilhelm der Eroberer sie im 11. Jahrhundert ausbaute und mit doppelten Ringmauern uneinnehmbar machte.

Auf einem alten Treidelpfad führt die Tour am Ufer des Kennet-and-Avon-Kanals entlang. (Foto Katharina Büttel)
Auf einem alten Treidelpfad führt die Tour am Ufer des Kennet-and-Avon-Kanals entlang. (Foto Katharina Büttel)

Die Fahrt abwärts verlangt volle Konzentration – noch ungewohnt ist der Linksverkehr! Bald schon zeigt sich die Grafschaft Kent von seiner ländlichen Seite: hinter Weißdorn und Fuchsien liegen Häuser weißgetüncht mit blauen Türen, auch himbeerfarben, mit Clematissternen um die Fenster. Die Küste radeln wir direkt am Wasser entlang nach Sandwich – über uns Möwengeschrei.

Picknick im Grünen, dann durchstarten nach Canterbury. Wind und Wetter haben auch ihr Gutes: zwingen uns in den schönsten Pub der Gegend, den “Red Lion“ – auf ein „Cornish Coaster“-Ale. Im Duft der Wiesen geht es vorbei an Cottages, Dorfkirchen, Schafherden und hohen Büschen. Die ersten 50 Kilometer sind geschafft! Die Pilger im 13. Jahrhundert machten das zu Fuß! Keiner verzichtet später auf das typisch englische Dessert „Eton Mess“, eine Baiser-Sahne-Früchte-Bombe.

Canterbury ist ein Paukenschlag! Die Kathedrale, Weltkulturerbe, ist neben Westminster Abbey in London der schönste Sakralbau Englands. Hier verbinden sich steil aufragende Gotik und Romanik. Die Glasfenster wollen bewundert werden, die Wandgemälde, die Krypta. Hier erschütterte ein Mord ganz England: in seiner Kirche starb 1170 Erzbischof Thomas Becket durch feiges Attentat – auf Befehl Heinrichs II.

Ein Gartenparadies im Garten Englands: Sissinghurst. (Foto Katharina Büttel)
Ein Gartenparadies im Garten Englands: Sissinghurst. (Foto Katharina Büttel)

Die Sonne scheint auf dem Weg ins blühende Paradies. Sissinghurst, legendärer Garten der Schriftstellerin Vita Sackville-West (1892-1962), ist anders als der englische Landschaftspark, der 150 Jahre zuvor Europa eroberte. Um die Reste eines morbid- pittoresken Schlosses schuf sie eine Gartenanlage, manchen die schönste im Lande. In romantischer Manier nennt sie die Gartenaufteilung ihr „weißes Zimmer, lila Zimmer, Rosenzimmer“. In fein abgestuften Nuancen die Farben, Formen und Gruppen. Der „weiße Garten“ inspiriert noch heute die Gartenfreunde.

Ein Bus fährt uns in gut drei Stunden nach Oxford. In der berühmten Universitätsstadt gibt die akademische Welt seit 800 Jahren den Ton an. Allein 46 Nobelpreisträger und 25 Premierminister hat sie „hervorgebracht“.

Die 49 Colleges liegen in der Altstadt; wunderschön die Innenhöfe mit bezaubernden Blumenrabatten. Viele Besucher kommen wegen der Harry-Potter-Drehorte. Wir wollen ins altehrwürdige Christ Church College. Den besten Blick auf die gotische Bauweise haben wir vom Carfax Tower.

Berühmte Kaderschmiede: das Christ Church College in Oxford. (Foto Katharina Büttel)
Berühmte Kaderschmiede: das Christ Church College in Oxford. (Foto Katharina Büttel)

An diesem herrlichen Tag sind viele Leute unterwegs. Sie stöbern im größten Buchladen der Welt, dem „Blackwells’s“, bevölkern die Straßencafés vor den honiggelben Limestone-Fassaden und trinken ihr Ale im „The King‘s Arms“ oder im „Tavern“-Pub gegenüber dem ehrwürdigen Sheldonian Theater.

Dann wieder im Sattel! Es geht durch eine stille Landschaft, den 200 Jahre alten Kennet-and-Avon-Channel entlang, einst Versorgungslinie für London. Hausboote, die narrow boats, schmale, lange Hausboote, locken zu einem Ausflug. Aber auf 36 Kilometern 29 Schleusen passieren? Nein danke! Englischer Landregen setzt ein; von Meile zu Meile tritt es sich schwerer auf dem aufgeweichten Treidelpfad nach Bath.

Tea-Time mit Scones, Erdbeermarmelade und buttriger Sahne. (Foto Katharina Büttel)
Tea-Time mit Scones, Erdbeermarmelade und buttriger Sahne. (Foto Katharina Büttel)

Zum Baden fährt heute niemand mehr nach Bath. Die Römer kurten dort Jahrhunderte lang, Jane Austin schilderte das mondäne Badeleben im 19. Jahrhundert. Heute kommen die Menschen, weil Bath – seit 1987 Weltkulturerbe – als Kunstwerk und die schönste Stadt Englands gehandelt wird. Daniel Defoe, Autor von „Robinson Crusoe“, beschreibt sie als einen Ort, „der den Tagedieben hilft, die schlimmste Art des Mordes zu begehen, nämlich die Zeit totzuschlagen“.

In den Parks zum Beispiel, in den Cafés am Kingsmead Square, beim Shopping in der exquisiten Union Street oder unter den Lüstern des Kurhauses bei Tee, warmen Scones, Erdbeermarmelade und Sahne. In royaler Perfektion glänzen die Häuserreihen von „The Crescent“ und „The Circus“, den ersten Rundplätzen Großbritanniens. Und unser Hotel liegt mittendrin!

Überaus sehenswert: der Kreuzgang der Salisbury Cathedral.. (Foto Katharina Büttel)
Überaus sehenswert: der Kreuzgang der Salisbury Cathedral. (Foto Katharina Büttel)

Salisbury in der Grafschaft Wiltshire. Hier jagt ein Superlativ den anderen: 123 Meter hoch ist der Turm der Kathedrale, die Bauweise einheitlich frühgotisch, im Kapitelhaus der Schatz: ein Exemplar der Magna Charta, Dokument des neuzeitlichen Beginns von Demokratie!

Und Stonehenge? 5.000 Jahre alt, rätselhaft bis heute – unglaublich. War es ein religiöser Kultplatz, steinzeitliche Sternwarte, eine keltische „Kathedrale“?

Hat auch nach 5.000 Jahren nichts an Faszination verloren: die heilige Tempelanlage in Stonehenge. (Foto Katharina Büttel)
Haben auch nach 5.000 Jahren nichts an Faszination verloren: die heiligen Steine in Stonehenge. (Foto Katharina Büttel)

Wir treten in die Pedale. Stourhead steht auf dem Plan, der englische Landschaftspark schlechthin! Im engen Tal des Stour schuf der Aristokrat Henry Hoare Mitte des 18. Jahrhunderts aus „wilder Natur“ ein Kunstwerk „aus Wegen, Wäldern, Wiesen, Seen und Flüssen“. Der Rundgang ist eine Offenbarung!

Hinter jeder Biegung neue Ausblicke auf Brücken, Wasser, Grotten, Tempel, allegorische Skulpturen.
Entspannt radeln wir den Avon entlang. „Wulf, leg den Turbo ein, es wird hügelig“, rät der Reiseleiter.

Farbtupfer im New Forest - Wildpferde im Heidekraut. (Foto Katharina Büttel)
Farbtupfer im New Forest – Wildpferde im Heidekraut. (Foto Katharina Büttel)

Die Anstiege sind zäh im New Forest National Park, einem der letzten großen Wälder Englands, über Jahrhunderte Jagdrevier der Könige. Das Hochplateau – so schön wie ein Gemälde! Buchen und Eichen, uralt und majestätisch, auf den Lichtungen leuchtend grüne Farne, hohe Rhododendren, Teppiche aus lilarotem Heidekraut – mittendrin weiße und schwarze Wildpferde!

Am Ende des New Forest der kleine Ort Lyndhurst mit Fachwerkhäusern und blumenumrankten Cottages, wie in den Romanen der Rosamunde Pilcher.

Entspannte Langsamkeit am Kennet-on-Avon Kanal im narrow boat. (Foto Katharina Büttel)
Entspannte Langsamkeit am Kennet-on-Avon Kanal im Narrow Boat. (Foto Katharina Büttel)

Im Hafen von Lymington erreichen wir die Fähre zur Isle of Wight. Abschied von Gartenbaukunst und gotischen Kathedralen, auch von unseren Rädern – im Blick den Leuchtturm und die weißen Kreidefelsen…

Bitte, wo geht's nach Canterbury. (Foto Katharina Büttel)
Bitte, wo geht’s nach Canterbury. (Foto Katharina Büttel)

Veranstalter: Neben Radtouren in fast allen Ländern Europas bietet „die Landpartie Radeln und Reisen“ diese achttägige Radtour ab 1795 Euro pro Person im Doppelzimmer mit Halbpension an. Plus 335 Euro für das Anreisepaket oder Flugtickets für die individuelle Anreise. Termine: vier Reisen ab 19. Juni bis 21. August 2016. Infos unter Telefon 0441-570683-15, Fax: -570683-19; service@dieLandpartie.de und unter www.dieLandpartie.de

Fahrräder werden vom Veranstalter gratis gestellt. Ein Elektrorad kostet 160 Euro Miete. Keine Helmpflicht. Die Tagesetappen liegen zwischen 26 und 59 Kilometer, insgesamt 246 Kilometer. Das Begleitfahrzeug erlaubt Umstiege.

Hotels: Überwiegend wohnt man zentral in historischen Gebäuden mit Flair.


{google_map}Isle of Wight{/google_map}