Grasende Wetterfrösche im Wollknäuel-Look

Eines der prächtigen Burgen in Wales: Powis Castle. (Foto Visit Britain)
Eines der prächtigen Burgen in Wales: Powis Castle. (Foto Visit Britain)

„Green, green gras of home“, lautet der Refrain in Tom Jones bekannter Hommage an seine Heimat. Und schon nach kurzer Zeit wird deutlich, was der bekannteste Musikexport aus Wales zum Ausdruck bringen wollte: Unendlich viele Schattierungen von Grün soweit das Auge reicht, ausgedehnte Wälder, saftige Wiesen, mannshohe Farne, mächtige Rhododendren in Hülle und Fülle, blühende Heide- und Moorlandschaften, dazwischen unzählige weiße Punkte, die sich bei näherer Betrachtung als Schafe entpuppen.

Wales, das Land der zwölf Millionen Schafe und drei Millionen Einwohner, weiß aber nicht allein mit seiner abwechselungsreichen Landschaft zu faszinieren. 400 trutzige Burgen nennt das kleine Land im Westen Großbritanniens sein eigen. Einige der schönsten sind im Norden von Wales zu finden. Am River Severn, der über weite Teile die Landesgrenze zu England markiert, erhebt sich majestätisch das schmucke Powis Castle. Das rote Schloss aus dem 13. Jahrhundert erweist sich nicht nur als ein imposantes Herrenhaus, sondern besticht durch liebevoll angelegte hängende Gärten und Terrassen im italienischen Stil.

Stolz einer ganzen Region: Das majestätisch anmutende Harlech Castle. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Stolz einer ganzen Region: Das majestätisch anmutende Harlech Castle. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Daneben birgt Powis Castle einige wertvolle Schätze: Jagdtrophäen aus dem früheren britischen Empire wie Edelsteine aus dem Besitz von indischen Maharadschas, Tigerklauen und persische Manuskripte. Hinzu kommen flämische Wandteppiche, Deckenmalereien von Verrio und wertvolle Reliquien von Maria Stuart.

Nicht weit von Powis Castle liegt der pittoreske Lake Vyrnwy, ein Stausee, der die Trinkwasserversorgung für die englische Industriemetropole Liverpool sicherstellt und von einem 6.500 Hektar großen Naturschutzgebiet gesäumt wird. Bei aller Schönheit war das Reservoir nicht unumstritten. Um den River Vyrnwy zu stauen, mussten Ende des 19. Jahrhunderts alle 450 Bewohner des Dorfes Llanwddyn umgesiedelt werden.

Ein Mythos mit grandiosen Bergpanoramen: der Snowdonia Nationalpark. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Ein Mythos mit grandiosen Bergpanoramen: der Snowdonia Nationalpark. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Mehr als 500.000 Tonnen lokalen Steins wurden verbaut, um den bis dahin mit 26 Metern höchsten Staudamm Großbritanniens zu errichten. 1888 wurde das Tal binnen elf Monaten geflutet. Noch heute können auf dem Grund des Sees bei großer Trockenheit die Reste des alten Dorfes gesehen werden.
Unterhalb des mächtigen Staudamms lädt seit 1997 ein Skulpturen-Weg zu einer kurzweiligen Erkundungstour. Mit Materialien aus der Region, vornehmlich mit Bäumen, die bei Unwettern entwurzelt wurden, haben Künstler aus dem In-und Ausland 25 Kunstwerke geschaffen. Der Bogen spannt sich dabei von Holz-Ottern über Stein-Raben bis hin zu einem eisernen Arbeitspferd und der symbolischen Darstellung von Mutter Erde.

Durch den Snowdonia Nationalpark führt der Weg an die Küste. Dabei fällt der Blick immer wieder auf Mount Snowdon. Der mit 1085 Metern höchste Berg in Wales versteckt seine Spitze allerdings in der Regel in dichten Wolken. Die eiszeitlich geformten Täler rund um den mächtigen Berg, an dem sich Sir Edmund Hillary auf die Erstbesteigung des Mount Everest vorbereitete, erinnern an Geröllwüsten. Nur Heidekräuter, ein paar robuste Gräser und Steine scheinen hier zu wachsen. Offensichtlich genug, um ganze Heerscharen von Schafen satt zu kriegen.

Ein Hauch von Disneyland in Wales: das Dorf Portmeirion. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Ein Hauch von Disneyland in Wales: das Dorf Portmeirion. (Foto Karsten-Thilo Raab)

„Snowdon is the last place for spring to reach“ sagt der Waliser und weiß Trost für das immer wieder lange Warten auf den Frühling. „Wenn der Ginster blüht, ist küssen erlaubt“, sagt eine Volksweisheit, wohl wissend, dass nicht nur in den Snowdonian Mountains der Ginster (nahezu) ganzjährig blüht.

So auch rund um Harlech Castle, das auf einem spitzen Felsen oberhalb der Tremadog Bay thront und einen fesselnden Blick auf die Bergwelt des Nationalparks freigibt. Wie die trutzige Burg aus dem 13. Jahrhundert ist auch die mittelalterliche Festung in Caernarfon von der UNESCO zum Weltkulturerbe erhoben worden. Beide Burgen ließ der englische König Edward I. errichten, um seine frisch gewonnene Macht in Wales zu stabilisieren.

Ein überaus geschichtsträchtiger Ort: Caernarfon Castle. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Ein überaus geschichtsträchtiger Ort: Caernarfon Castle. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Mit seinen neun Türmen und stolzen Zinnen rückte das am Ufer des Menai gelegene Caernarfon Castle 1969 in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit, als hier Prinz Charles, der älteste Sohn von Queen Elisabeth II., zum „Prinz of Wales“ gekürt wurde.

Im malerischen Conwy ist das schmalste Haus in Großbritannien zu finden. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Im malerischen Conwy ist das schmalste Haus in Großbritannien zu finden. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Eine völlig andere Welt eröffnet sich wenige Kilometer weiter in Portmeirion, wo der exzentrische Visionär Clough William-Ellis (1883-1978) zwischen 1925 und 1972 seine eigene kleine Welt geschaffen hatte: einen verspielten Ort mit bonbonfarbenen Fassaden, Türmchen, Säulengängen, Kirchen, Kuppeln, Statuen und einem liebevoll angelegten Garten. Vieles ist echt, manches aber einfach nur schöner Schein. Über Portmeirion schwebt ein Hauch der Toskana mit einem Hang zum Disneyland.

Zu den vielen, vielen Blickfänge gehören der Bell Tower of Campanile (1927), die Buddha Statue aus Ingrid Bergmanns Film „The Inn of the Sixth Happiness“ (1958), der Pantheon (1958), die klassische Colonnade, die William Reeve 1760 für den Arnos Court in Bristol errichtet hatte, ein falscher Leuchtturm und ein viktorianischer Hundefriedhof, der noch immer benutzt wird.

„William-Ellis wollte beweisen, dass er an einem der schönsten Flecken dieser Erde etwas ebenso schönes schaffen konnte, ohne dieser Ort zu zerstören“, berichtet Robin Llwelyn, langjähriger Managing Director von Portmeirion Village and Gardens, voller Ehrfurcht über die Entstehung dieses ehrgeizigen Projektes, das ein bisschen an eine Filmkulisse erinnert. Und in der Tat wurde hier an der Tremadog Bay ab 1966 die britische TV-Kultserie „The Prisoner“, die in Deutschland unter dem Titel „Nummer 6“ über den Bildschirm flimmerte, gedreht.

Überaus charmant: Conwy mit seinem Castle und der gut erhaltenen Stadtmauer. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Überaus charmant: Conwy mit seinem Castle und der gut erhaltenen Stadtmauer. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Das Dorf ist zugleich ein riesiges Urlaubsquartier. Die Häuser, die nicht als Geschäft oder Restaurant dienen, werden als Hotelzimmer oder Ferienwohnungen genutzt. Außerdem befindet sich in Portmeirion mit Castell Deudraeth ein viktorianisches Schloss, das 1850 vom Abgeordneten David Williams (1799-1869) errichtet wurde und jetzt als Luxushotel und Nobelrestaurant dient.

Einen Besuch wert sind ganz sicher auch die Bodnant Gardens, die nicht von ungefähr in dem Ruf stehen, eine der prächtigsten in ganz Großbritannien zu sein. Das riesige Areal rund um das noch immer privat genutzte Herrenhaus erstreckt sich über Hügelterassen oberhalb des Vale of Conwy und bildet eine verführerische Mischung aus formellen und wilden Bereichen. Heimische und exotische Bäume wachsen nebeneinander gen Himmel, Rosen duften, blaue Hortensien spiegeln sich im stillen Wasser und dazu bietet sich einmal mehr ein phantastischer Blick auf die Berge von Snowdonia.

Very british: Bodnant House and Gradens. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Very british: Bodnant House and Gradens. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Von Bodnant ist es lediglich ein Katzensprung bis zu einem der wohl gemütlichsten Städte in Nord-Wales: Conwy. Neben dem gleichnamigen Castle aus dem 13. Jahrhundert, das ebenfalls zum Weltkulturerbe zählt, wird das mittelalterliche Marktstädtchen von einer 1,2 Kilometer langen Stadtmauer mit insgesamt 21 Türmen dominiert. Einen Kontrast zu den geschichtsträchtigen Gemäuern bildet ein knallrotes Haus am Hafen, das angeblich schmalste Haus Großbritanniens.

Und noch eine weitere Kuriosität ist im Norden von Wales zu finden: Das Pontcysyllte Aquädukt bei Llangollen. Meisterarchitekt Thomas Telford hatte zwischen 1795 und 1805 das monumentale Bauwerk errichtet. Auf einer Höhe von fast 40 Metern überquert die Wasserstraße das Dee Valley. Und besonders die Freizeitkapitäne, die in gemieteten Narrow Boats über den Llangollen Kanal schippern, sollten schwindelfrei sein. Denn von der Wasserkante fällt das Aquädukt ohne Geländer ins Tal ab. Eben nichts für schwache Nerven.

Tummelplatz für Narrow Boats: das Weltkulturerbe des Pontcysyllte Aquädukts. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Tummelplatz für Narrow Boats: das Weltkulturerbe des Pontcysyllte Aquädukts. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Lohnenswert ist auch ein Abstecher nach Erddig unmittelbar vor den Toren von Wrexham. Der Herrensitz ist seit Generationen praktisch unverändert geblieben und wird als „das anschaulichste Haus für Klassenunterschiede in Großbritannien“ beschrieben. Neben den Möbeln aus dem 18. und 19. Jahrhundert sorgt vor allem eine ungewöhnliche Porträtgalerie für Erstaunen. Denn hier ist nicht wie anderswo üblich die Herrschaft zu bewundern. Vielmehr wurde das offenbar überaus geschätzte Personal von Erddig auf ungewöhnliche Art und Weise geehrt. Denn die Gärtner, Köche und Diener wurden in Porträts und Gedichten verewigt. Der viktorianische Garten, in dem auch die National Ivy Collection (Efeu-Sammlung) beheimatet ist, ist von riesigen Ländereien umgeben.

Und überall auf den saftigen Wiesen sind weiße Punkte zu sehen, die friedlich grasen. Derweil ziehen sich langsam dunkle Wolken am Himmel zusammen und versprechen mit „soft rain“, weichem Regen, eine Gratispflege für die Haut. „When sheep lay down, it´s going to rain – wenn die Schafe sich hinlegen, wird es Regen geben“, sagt der Waliser. Und der muss es wissen. Schließlich sind die friedlich grasenden Wetterfrösche im Wollknäuel-Look in Wales an jeder Ecke zu finden…

Gehören zum Bild von Wales: die wollliefernden Schafe. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Gehören zum Bild von Wales: die wollliefernden Schafe. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Informationen allgemein: www.visitbritain.com/de, www.visitwales.com

Sehenswürdigkeiten: Portmeirion, Gwynedd, Wales LL48 6ET, Telefon 0044-1766-770000, www.portmeirion-village.com

Snowdonia National Park headquarters, Penrhyndeudraeth, Gwynedd, Wales LL48 6LF, www.snowdonia-npa.gov.uk

Lake Vyrnwy Sculture Trail: www.lake-vyrnwy.com

Bodnant Gardens: www.nationaltrust.org.uk/bodnant-garden

Powis Castle: www.nationaltrust.org.uk/powis-castle

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