Erinnerungen stricken in Straßburg: Das kleine Frankreich in Europas Hauptstadt

Das wohl schönste Viertel von Straßburg: Petite France mit seinen windschiefen Fachwerkhäusern. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Das wohl schönste Viertel von Straßburg: Petite France mit seinen windschiefen Fachwerkhäusern. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Das Münster. Definitiv das Münster. Für Dominique Kieffer gibt es keinen schöneren Platz auf Erden. Seit Kindheitstagen zieht das Straßburger Wahrzeichen die 63-jährige in seinen Bann. Nahezu täglich besucht die Deutschlehrerin, die nebenbei als Fremdenführerin fungiert, das mächtige Gotteshaus im Herzen der Europa-Hauptstadt. Und immer mit der gleichen Faszination.

Berühmtes Wahrzeichen der Stadt: das Straßburger Münster. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Berühmtes Wahrzeichen der Stadt: das Straßburger Münster. (Foto Karsten-Thilo Raab)

„Als ich ein kleines Mädchen war, haben mir mein Vater und Großvater nie Märchen vorgelesen, sondern immer neue, faszinierende Geschichten über das Münster erzählt“, bricht es fast schon euphorisch aus Dominique Kieffer heraus. Ob Notre-Dame de Strasbourg, wie die Kirche im romanisch-gotischen Stil offiziell heißt, tatsächlich der schönste Fleck auf Erden ist, darüber lässt sich streiten, nicht aber darüber, dass die Kathedrale zu den imposantesten Sakralbauten der christlichen Welt gehört.

Der mächtige Bau steht am höchsten Punkt jener von den Armen des Ill umspülten Insel, auf dem die Altstadt von Straßburg angesiedelt ist – 140 Meter über Normalnull. Schon die römischen Stadtgründer errichteten hier im 12. Jahrhundert vor Christus einen Tempel. Die Arbeiten für das heutige Münster begannen 1015 und sollten gut 400 Jahre verschlingen. Dabei stellten die Bauherren fest, dass das auf einer Pfahlgründung ruhende Gotteshaus zu schwer für den morastigen Untergrund werden würde und verzichteten daher auf die Fertigstellung des zweiten Glockenturmes. Dennoch avancierte Notre-Dame de Strasbourg mit seinen 142 Metern hohen Turm 400 Jahre lang zum höchsten Gebäude Europas.

Beeindruckende Staustufe: die Barrage Vauban (Foto Karsten-Thilo Raab)
Beeindruckende Staustufe: die Barrage Vauban (Foto Karsten-Thilo Raab)

Zu den Besonderheiten des Münsters zählt die Astronomische Uhr. Seit dem Jahre 1547 markieren vier Zeigen zwei unterschiedliche Uhrzeiten. Zwei zeigen akkurat die Greenwich Meantime (GMT) an, die anderen beiden gehen exakt 31 Minuten vor. Denn Straßburg liegt eine halbe Zeitzone östlich des Londoner Vorortes. Prunkstücke der reich verzierten Fassade sind die Tympanonen der drei Portale. Diese Reliefs haben das Leben Christi und das Jüngste Gericht zum Gegenstand.

Architektonisches Meisterwerk: die Ponte Couverts. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Architektonisches Meisterwerk: die Ponte Couverts. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Zwischen dem Südportal des Münsters und dem Palais Rohan ziert eine unscheinbare Metallplatte den Boden. Unter ihr schlummert ein modernes Stück Stadtgeschichte. Als Kunstprojekt von Raymond E. Waydelich wurden hier in insgesamt 14 Fässern Dinge des täglichen Gebrauchs eingelassen, die typisch für Straßburg und das Elsass sind: vakuumverpacktes Sauerkraut, Bier, Wein und Flammkuchen, aber auch ein Straßenbahnplan, Fahrkarten, Trachtenmode und Geldstücke. Geht es nach dem Willen des Künstlers, so soll der Schatz am 29. September 3790 geliftet werden und so helfen, der Nachwelt ein Bild vom Leben im 21. Jahrhundert zu vermitteln.

„Fraglos ein besonderer Schatz für die Archäologen der Zukunft“, flachst Dominique Kieffer. Gleichzeitig befürchtet sie, dass bis dahin die eigene Mundart ausgestorben sein dürfte. Rund 20 Prozent der 270.000 Einwohner von Straßburg sind noch des Elsässischen mächtig. Dieses mutet ein wenig wie eine Mischung aus Französisch, Deutsch, Englisch und Jiddisch an – so heißt beispielsweise „es ist kalt draußen!“ auf Elsässisch „S’isch kalt drüsse!“

Nach Einbruch der Dunkelheit noch faszinierender: das alte Gerber-, Fischer- und Müllerviertel Petite France. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Nach Einbruch der Dunkelheit noch faszinierender: das alte Gerber-, Fischer- und Müllerviertel Petite France. (Foto Karsten-Thilo Raab)

„In unserer Familie versteht der Hund den Dialekt am besten“, ist für Dominique Kieffer die Mundart ein wesentlicher Teil von dem, was den Charme Straßburgs ausmacht. Dazu gehören neben der Weltoffenheit der Bewohner vor allem aber auch die vielen unterschiedlich Viertel der Stadt, in denen es allerhand zu entdecken gibt. 1681 wurde Straßburg französisch. Allerorts wurden schmucke Patrizierhäuser im Pariser Stil aus dem Boden gestampft.

Die Altstadt von Straßburg zählt nicht von ungefähr zu dem schönsten, was Frankreich zu bieten hat. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Die Altstadt von Straßburg zählt nicht von ungefähr zu dem schönsten, was Frankreich zu bieten hat. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Viele dieser Stadtresidenzen gruppieren sich heute noch um den Broglie-Platz oder finden sich entlang der Rue Brûlee. Markantestes Bauwerk aus dieser Zeit ist aber zweifelsohne das Rohan-Palais. Das Schloss wurde nach Plänen von Robert de Cotte, einem der Architekten von Versailles, errichtet und beheimatet heute das Kunstgewerbemuseum, das Kunstmuseum und das Archäologische Museum.

Zwischen 1871 und 1918 war Straßburg Teil des Deutschen Reichs. In dieser Zeit dehnte sich die Stadt vornehmlich in nordöstlicher Richtung aus. Es entstanden Prachtbauten wie die Universität, das Palais du Rhin und die Bibliothek, die von der kurzen Blütezeit des Jugendstils in Straßburg zeugen. Ein ganz anderes Gesicht legt Straßburg im modernen Europa-Viertel an den Tag. Hier bestimmen auffällige Glas- und Stahlbetonbauten das Bild. So der Europapalast, der von Stararchitekt Richard Rogers entworfene Palast der Menschenrechte und der Sitz des Europaparlaments mit seinem 60 Meter hohen Turm.

Ein echter Hingucker: die beleuchtete Rue de la Mésang. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Ein echter Hingucker: die beleuchtete Rue de la Mésang. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Den attraktivsten Teil Straßburgs bildet aber die von den Seitenarmen der Ill begrenzte Altstadt – und hier vor allem das einstige Gerber-, Fischer- und Müllerviertel „Petite France“. Das „kleine Frankreich“ besticht durch verwinkelte Gassen, enge Straßen und mittelalterliche Fachwerkhäuser. Deren Kennzeichen sind die hohe Spitzdächer und offene Dachböden, in denen früher gegerbte Häute zum Trocknen aufgehängt wurden.

Auf dem traditionellen Weihnachtsmarkt darf Glühwein natürlich nicht fehlen. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Auf dem traditionellen Weihnachtsmarkt darf Glühwein natürlich nicht fehlen. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Die hohe Bodensteuer im Mittelalter ließ die Gerber, Müller und Fischer erfinderisch werden. Da nur die Grundfläche eines Hauses als Berechnungsgrundlage galt, fiel das Erdgeschoss in der Regel sehr bescheiden aus. Stattdessen bauten die findigen Handwerker nicht nur in die Höhe, sondern ab dem ersten Stock auch in die Breite. Mit dem Ergebnis, dass ebenerdig zwischen den Häuser ein passable Durchfahrt entstand, die Nachbarn sich aber in den oberen Stockwerken fast von Fenster zu Fenster die Hand reichen konnten.

„Daher müssen es wohl auch wir Straßburger gewesen sein, die das Baguette erfunden haben, weil man den Nachbarn besser ein Stangenbrot als einen normalen Laib Brot durch das Fenster rüberreichen konnte“, ist Dominique Kieffer eifrig bemüht, das Ihre zur Legendenbildung beizutragen.

Begrenzt wird das „Kleine Frankreich“ im Südwesten von den vier Türmen der Ponts Couverts. Die „gedeckten Brücken“ bilden die letzten erhaltenen Überreste der Befestigungsanlage, die Straßburg im Mittelalter umgab. Nur einen Steinwurf von den gedeckten Brücken entfernt fällt das Vauban-Wehr ins Auge.

Seit dem Jahre 1570 wird in Straßburg - wie hier an der Rue d´Austerlitz - der Weihnachtsmarkt begangen. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Seit dem Jahre 1570 wird in Straßburg – wie hier an der Rue d´Austerlitz – der Weihnachtsmarkt begangen. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Von Dach der um 1690 errichteten Staustufe bietet sich ein herrlicher Blick auf Petit France, die Kanäle der Stadt und das benachbarte Museum für moderne und zeitgenössische Kunst. Dabei fallen auch die zahlreichen Storchennester auf den Häuserdächern der Altstadt ins Auge. Meister Adebar ist seit vielen, vielen Generationen das Wahrzeichen der Stadt. Der Bestand der Vögel war jedoch in den 1960er Jahren auf zehn Paare geschrumpft.

„Damals haben die Stadtväter damit begonnen, den Störchen die erste Brut wegzunehmen und unter Aufsicht auszubrüten und aufzuziehen“, freut sich Dominique Kieffer, dass heute wieder rund 300 Störche im Stadtgebiet anzutreffen sind.

Eislaufen im Schatten des Münsters gehört zu den winterlichen Vergnügen in Straßburg. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Eislaufen im Schatten des Münsters gehört zu den winterlichen Vergnügen in Straßburg. (Foto Karsten-Thilo Raab)

„Die Vögel sind Glücksbringer und stehen für die Fruchtbarkeit und Kinderliebe hier bei uns in Straßburg“, ergänzt die Kieffer, bevor sie sich ebenso höfflich wie ungewöhnlich verabschiedet: „Tricotez-vous des souvenirs“ – „Stricken Sie sich Erinnerungen“, ruft sie mit einem Blick über die Schultern, bevor sie in den Gassen der Altstadt verschwindet, wohl wissend, dass ein Besuch Straßburgs mit vielen positiven Erinnerungen verbunden ist.

Straßburg als Weihnachts-Hauptstadt

Zum mittlerweile 446. Mal steigt der Weihnachtsmarkt im herzen von Straßburg. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Zum mittlerweile 446. Mal steigt der Weihnachtsmarkt im herzen von Straßburg. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Seit dem Jahre 1570 wird in Straßburg ein Weihnachtsmarkt abgehalten. Und auch bei der 446. Auflage gibt sich der „Christkindelsmärik“ besonders charmant und stimmungsvoll. Der eigentliche Weihnachtsmarkt erstreckt sich vom 28. Novenver bis 31. Dezember 2015 über mehrere Straßen und Plätze der Innenstadt, mit Schwerpunkten rund um den Broglieplatz und den Münsterplatz. Weitere Informationen unter www.ot-strasbourg.fr.

Lage: Die mit ihren knapp 270.000 Einwohnern siebtgrößte Stadt Frankreichs liegt am Ufer des Rheins und der Ill im Nordosten Frankreichs und ist die Hauptstadt des Elsass sowie des Départements Niederrhein (Bas-Rhin). Seit 1949 ist Straßburg Sitz des Europarates und seit 1994 Europa-Hauptstadt.

Eine der vielen bezaubernden Straßenzüge in Straßburg: die Rue des Moulins. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Eine der vielen bezaubernden Straßenzüge in Straßburg: die Rue des Moulins. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Anreise: Straßburg ist von Deutschland aus bequem mit der Bahn via Karlsruhe zu erreichen, von wo eine Verbindung mit dem französischen Schnellzug TGV besteht.

Essen und Trinken: A la Tête de Lard, 3 rue Hannong, 67000 Straßburg, Frankreich, Telefon 0033-(0)388321356, www.alatetedelard.eu. Typische elsässische Spezialitäten wie Flammkuchen oder Sauerkraut kommen auf den Tisch des rustikalen Restaurants.

La Cloche à Frommage, 27 rue des Tonneliers, 67000 Straßburg, Frankreich, Telefon 0033-(0)388231319, http://cheese-gourmet.com. Hier dreht sich alles um Käse. Mehr als 200 Käsekompositionen warten darauf, entdeckt und probiert zu werden.

Sehenswürdigkeiten: Notre-Dame de Strasbourg (Münster), place de la Cathédrale, 6700 Straßburg, Telefon 0033-(0)3884436032, www.cathedrale-strasbourg.fr.

Musée Tomi Ungerer, Centre International de I’llustration, 2 avenue de la Marseillaise, 6700 Straßburg, Telefon 0033-(0)369063727, www.musees-strasburg.org.

Berühmter Shopping-Tempel in Straßburg: die Galeries La Fayette (Foto Karsten-Thilo Raab)
Berühmter Shopping-Tempel in Straßburg: die Galeries La Fayette (Foto Karsten-Thilo Raab)

Palais Rohan, 2 place du Château, 6700 Straßburg, Telefon 0033-(0)388520000, www.musees-strasbourg.org. Im Palais Rohan befinden sich das Kunstgewerbemuseum, das Kunstmuseum und das Archäologische Museum.

Übernachten: Strasbourg Hilton, Avenue Herrenschmidt, 67000 Straßburg, Frankreich, Telefon 0033-(0)388371010, www.hilton-strasbourg.com. Das 4-Sterne-Haus mit seinen knapp 240 Zimmern liegt zentral zwischen der Altstadt und dem Europäischen Parlament und bietet Doppelzimmer ab 240 Euro an und im Rahmen von so genannten Mini-Breaks ab 170 Euro.

Hinweis: In der Sitzungswoche des Europaparlaments, die in der Regel um die Monatsmitte liegt, sind viele Hotels und Restaurants ausgebucht.


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