Canberra – grüne Hauptstadt vom Reißbrett

Wahrzeichen von Canberra: der Sitz des australischen Parlaments.

Nein, mit den großen Hauptstädten der Welt hat Canberra wenig gemeinsam. Auch aus dem langen Schatten der pulsierenden Millionenstädte Sydney und Melbourne konnte Australiens Kapitale bis dato nicht heraustreten. Ganz im Gegenteil: fälschlicherweise wird der Sitz der Regierung und des Parlaments des fünften Kontinents oft als langweilige Beamtenstadt oder gar als „Australiens größte beleuchtete Viehweide“ tituliert. Tatsächlich jedoch ist Canberra eine moderne Metropole mit hoher Lebensqualität inmitten einer landschaftlich reizvollen Umgebung.

Wie oft im Leben, wenn sich zwei streiten, freut sich ein Dritter. Eine Formel, die vereinfacht die Entstehung der 350.000 Einwohner-Gemeinde auf den Punkt bringt. Denn als sich die ehemaligen britischen Kolonien am 1. Januar 1901 zur Gründung des Commonwealth-Staates zusammenschlossen, meldeten die beiden größten Städte Australiens, Melbourne im Bundesstaat Victoria, und Sydney in New South Wales, ihre Ansprüche auf den Regierungs- und Parlamentssitz an.

Auf halben Weg zwischen Sydney und Melbourne

In Sichtweite des neuen Parlaments liegt auch das Old Parliament.

Ein Zwist, der schließlich in einem Kompromiss endete: Die Gründerväter beschlossen, dass die Hauptstadt etwa 100 Kilometer von der Küste auf halbem Wege zwischen Sydney und Melbourne im Monaro-Tafelland entstehen sollte. Und während Melbourne übergangsweise als Sitz des Parlaments fungierte, wurde 1912 ein Stadtplanungswettbewerb ausgelobt, als dessen Sieger der Amerikaner Walter Burley Griffin (1876-1937) hervor ging. Der Architekt aus Chicago, der den fünften Kontinent bis dahin nur aus Erzählungen kannte, kreierte am Reißbrett eine großzügig angelegte Stadt, deren Entwurf im wesentlichen an einer anderen Retortenstadt, nämlich an Washington D.C., orientiert war.

1913 schließlich wurde der Grundstein für Canberra gelegt. Der Name für die geplante Hauptstadt bedeutet in der Sprache der Aborigines „Versammlungsplatz“. Als Kernstück entwarf Walter Burley Griffin ein Dreieck mit dem Parlamentsgebäude an der Spitze und einem künstlichen See als Mittelpunkt, der noch heute seinen Namen trägt und mit der 147 Meter hohen Captain-Cook-Fontäne, dem angeblich größte Wasserstrahl der südlichen Welthalbkugel, eine weitere Besonderheit aufweist.

Kriegsbedingte Verzögerung

Das National Carillon ist ein weithin sichtbares Turm-Glockenspiel auf der Insel Aspen Island im Lake Burley Griffin.

Die Umsetzung der Pläne scheiterte zunächst am Ausbruch des 1. Weltkrieges und der anschließenden Rezession. Der ehrgeizige Städteplaner aus Chicago hatte sich schon längst von seinem Lebenstraum verabschiedet, als seine Ideen doch noch aufgegriffen und weitgehend umgesetzt wurden. 1927 schließlich konnte der Regierungssitz endgültig von Melbourne nach Canberra in den neu geschaffenen unabhängigen Verwaltungsbezirk, das Australian Capital Territory, verlegt werden. Damals lebten gerade einmal 5.000 Menschen in der Minimetropole, heute sind es mehr als 350.000.

Unlängst hat das alte Parlament, dessen Ober- und Unterhaus in ihrer Innenausstattung dem „House of Lords“ beziehungsweise dem „House of Commons“ in den Londoner „Houses of Parliament“ nachempfunden sind, ausgedient. 1988 wurde nur einen Steinwurf entfernt das neue Parlament eingeweiht. Das futuristisch anmutende Gebäude wurde geschickt in den Capital Hill integriert und mit einem begehbaren Grasdach versehen, so dass das Landschaftsbild der „grünen Hauptstadt“ nicht zerstört wird.

Australiens größte „beleuchtete Viehweide“

Im Botschaftsviertel von Canberra wird der Beiname als größte beleuchtete Viehweide Australiens künstlerisch unterstrichen.

Vom Dach des Parlaments, das bei Führungen durch das Repräsentantenhaus und den Senat besichtigt werden kann, bietet sich ein exzellenter Blick auf Canberra mit seinen ringförmig angelegten Straßenzügen und strahlenartigen Ausfallstraßen. Kaum minder beeindruckend sind die Aussichten vom 663 Meter hohen Mount Pleasant, von dem aus auch die Snowy Mountains, Australiens bestes Skigebiet, gesehen werden kann, und vom 195 Meter hohen Black Mountain Tower am Black Mountain Drive.

Vom Capital Hill fällt unweigerlich der Lake Burley Griffin, der Australiens Hauptstadt in zwei Teile trennt, ins Auge. Auf der Nordseite liegt „Downtown“, das Einkaufs- und Geschäftsviertel, während sich das Gros der Wohngebiete wie kleine Inseln im satten Grün des Capital Territory verteilen. Auch das weithin sichtbare War Memorial zu Ehren der über 100.000 gefallenen Soldaten in den Welt- und Koreakriegen ist hier angesiedelt. Das angrenzende Museum dokumentiert multimedial die Geschichte der Streitkräfte und auch ein japanisches U-Boot aus dem 2. Weltkrieg, das vergeblich versuchte, Sydney anzugreifen, kann hier besichtigt werden.

Lake Burley Griffin teilt Canberra

Das War Memorial gehört zu den markantesten Bauwerken in der Hauptstadt des Fünften Kontinents.

Und während die meisten Häuser der Stadt architektonische Durchschnittskost bieten, befinden sich die markantesten Bauwerke Canberras am Südufer des Sees. Dazu gehören die Nationalbibliothek, der Oberste Gerichtshof und vor allem die Australian National Gallery, die über die feinste Gemäldesammlung des fünften Kontinents verfügt. Der Bogen spannt sich von traditioneller Aboriginie-Malerei bis hin zur Kunst der Neuzeit. Zu den herausragenden Exponaten zählen die „Hochzeit der Cornaros“ von Giovanni Battista Tiepolo (1696-1770) und die „Wasserlilien“ des französischen Malers Claude Monet (1840-1926).

Kaum minder interessant sind die Regatta Point Planning Exhibition im Commonwealth Park, die einen aufschlussreichen Einblick in die Stadtentwicklung gewährt, und das Questacon, das nationale Wissenschafts- und Technologiecenter, das interaktiv die unterschiedlichsten Phänomene der Natur erklärt und die Möglichkeit bietet, kleine Experimente selber durchzuführen.

Aboriginal Pflanzenlehrpfad

Das neue Parlamentsgebäude ist über zahlreiche Blickachsen auch aus der Ferne zu bestaunen.

Derweil kommen Naturfreunde im prächtigen Botanischen Garten mit seinen mehr als 6.000 einheimischen Pflanzenarten auf ihre Kosten. Außerdem verfügt das Ausstellungsgelände am Fuß des Black Mountain über einen interessanten Aboriginal Pflanzenlehrpfad.

Aber auch der nahe gelegene Namadgi National Park und das Tidbinbilla Nature Reserve in Tharwa bestechen durch eine verblüffende Flora und Fauna und erweisen sich mit ihren unzähligen weißen Kakadus, Kängurus und Emus sowie die mitunter sichtbaren Koalas als ein Kaleidoskop der beeindruckenden Artenvielfalt in Australien. Kurzum, Canberra wirkt wie ein dezent bebauter riesiger Park, umgeben von endlosem Weide- und Buschland – eben eine etwas andere Hauptstadt mit ureigenem Charme. Weitere Informationen unter Victoria.