Ålesund – eine Stadt wie keine andere

Allein die Lage von Ålesund ist faszinierend und erinnert an das perfekte Postkartenmotiv. (Foto Sverre Hjørnevik)
Allein die Lage von Ålesund ist faszinierend und erinnert an das perfekte Postkartenmotiv. (Foto Sverre Hjørnevik)

Wohin man auf der Welt auch kommt, überall jubeln Lokalpatrioten und Fremdenverkehrsämter: Unsere Stadt ist ganz besonderes! Sie ist wie keine andere! Man mag das nicht mehr hören, man mag es nicht mehr schreiben. Was aber, wenn es stimmt? Ålesund an der Westküste streckt sich auf drei Inseln so spektakulär in den Nordatlantik hinein, dass kein Bildband von Norwegen ohne eine Luftaufnahme der Stadt auskommt, kein Besucher verlässt sie, ohne diesen Ausblick vom Hausberg Aksla aus selbst bewundert zu haben.

Doch aus dieser – vor allem bei schönem Wetter – zauberhaften Vogelperspektive wird man das Einzigartige nicht gleich erkennen: Ålesund ist eine aus Stein erbaute Stadt, was in Norwegen sehr ungewöhnlich ist, denn das traditionelle Baumaterial des Landes ist Holz: Stavanger hat 8.000 Holzhäuser, Bergens stadtnahe Wohnviertel sind samt und sonders aus Holz, Trondheim rühmt sich umfangreicher Holzhaus-Areale aus dem 19. Jahrhundert.

Ålesund besticht gleichermaßen durch maritimes Flair und die prachtvollen Jugendstilbauten. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Ålesund besticht gleichermaßen durch maritimes Flair und die prachtvollen Jugendstilbauten. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Ålesund, man muss es sagen, ist die unnorwegischste Stadt Norwegens. So unnorwegisch, dass sich die Ålesunder jahrzehntelang deswegen sogar ein wenig geschämt haben. Diese Sonderstellung geht auf eine Katastrophe zurück: In einer Januarnacht des Jahres 1904 vernichtete ein Feuer die gesamte Stadt. 860 Holzhäuser brannten ab, nur ein Mensch kam dabei um, aber 10.000 hatten alles verloren. Bereits drei Tage später ankerten zwei von schließlich vier Schiffe mit Zelten, Decken, Lebensmitteln, Suppenküchen und Baumaterial. Geschickt hatte sie der deutsche Kaiser Wilhelm II., er ist bekanntermaßen der Ahnherr der deutschen Norwegen-Touristen.

Nach Brandkatastrophe: Auferstanden aus Ruinen

In den folgenden Wochen und Monaten kam Hilfe aus der ganzen Welt, die Soforthilfe des Kaisers aber blieb unvergessen. Er wurde mit einer Kaiser Wilhelm-Straße (Keiser Wilhelms gate) und einem Kaiser Wilhelm-Denkmal geehrt, beides gibt es noch. Die Behauptung, der deutsche Kaiser habe den Wiederaufbau der Stadt „aus seinem Privatvermögen“ mitfinanziert, ist eine unausrottbare Mär. Die Wahrheit ist nüchterner: Die ohne Zweifel fantastische (und fantastisch organisierte) Soforthilfe geschah auf Kosten des deutschen Steuerzahlers.

Nirgendwo in Ålesund ist das Wasser wirklich weit weg. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Nirgendwo in Ålesund ist das Wasser wirklich weit weg. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Der Wiederaufbau schuf eine radikal andere Stadt: Breitere Straßen sollten das Übergreifen von Flammen verhindern, es wurde ausnahmslos in Stein gebaut. Die Architekten waren Norweger, aber die meisten hatten in Deutschland studiert. Sie übersetzten das Weiche des dort erlernten Jugendstils in den örtlichen Granit und verbanden ihn mit Ornamenten aus der nordischen Sagenwelt. So entstand ein „norwegischer“ Jugendstil, den es nur hier gibt. In weniger als drei Jahren wurden auf engstem Raum 500 neue Häuser hochgezogen. Jedes ist ein Unikat, zusammen bilden sie ein weltweit einmaliges städtebauliches Ensemble.

Jugendstilpracht dank deutscher Aufbauhilfe

Das ist der Grund, warum Ålesund eine Stadt ist wie keine andere. Sie liegt nicht nur am Meer, sie liegt im Meer und ist zudem von vielen Inseln umgeben. Besonders erwähnenswert ist Runde, dort brüten zwischen Februar und August eine halbe Million Vögel. An der äußersten Nordwestspitze der Insel, in Kvalneset, wurde das ehemalige Wohnhaus des Leuchtturmwärters zu einer unbewirtschafteten Hütte des Norwegischen Bergwandervereins (Den Norske Turistforening).

Nicht nur für Architekturfreunde ist die Jugendstilstadt einen Besuch wert.
Nicht nur für Architekturfreunde ist die Jugendstilstadt einen Besuch wert.

Angeln ist selbstverständlich überall möglich: Gemietete Boote mit oder ohne Besatzung bringen den Angler auf das Meer hinaus, fischreiche Flüsse liegen nur wenige Kilometer landeinwärts in den Sunnmørs-Alpene (Sunnmøre ist der Name des Distrikts). Sie sind ein hervorragendes Sommerareal mit vielen Wander- und Klettermöglichkeiten,
im Winter finden alle Wintersportler Loipen und Pisten, die dem eigenen Können entsprechen.

Meer, Berge, Norwegen – da sind Fjorde nicht weit. Ålesunds „Hausfjord“ ist der Geirangerfjord, der 2005 mit dem Nærøyfjord zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärt wurde. Er ist auf dem Seeweg zu erreichen, im Sommer macht die Hurtigrute sogar einen Abstecher in den Fjord. Auf dem Landweg fährt man zwei oder drei Stunden durch die wunderbare Fjordlandschaft, Fährfahrten inklusive.

 Tipps für den perfekten Ålesund-Besuch

Im Gegensatz zu den meisten norwegischen Städten verfügt Ålesund nahezu über keine Holzhäuser mehr. (Foto Andrea Giubelli)
Im Gegensatz zu den meisten norwegischen Städten verfügt Ålesund nahezu über keine Holzhäuser mehr. (Foto Andrea Giubelli)

Ein besonderes Sommervergnügen ist eine Wanderung auf den stadtnahen Berg Sukkertoppen. Er heißt so, weil seine Meeresseite heimkehrende Seeleute angeblich an den Zuckerhut in Rio erinnerte. 314 Meter ist er hoch, der
Aufstieg auf einem gut markierten Weg ist nicht sehr schwer und auch für Kinder geeignet. Der Rundblick vom Gipfel wird Sie begeistern.

Interessant ist die (neuromanisch gestaltete) Ålesunder Kirche von 1909. Sie demonstriert, dass die Bewohner der Westküste das Meer bis in die Details ihres Alltags hinein respektieren. Nach dem großen Brand bauten sie ihre Kirche nämlich mit Absicht „verkehrt herum“: Der Altar steht nicht im Osten, sondern im Westen. Läge das Eingangsportal im Westen, könnten Stürme zum offenen Meer durch das Portal ungehindert bis zum Altar brausen.

Auf dem Weg vom und zum Geirangerfjord machen viele Schiffe in Ålesund Station.
Auf dem Weg vom und zum Geirangerfjord machen viele Schiffe in Ålesund Station.

Eine weitere Besonderheit der Kirche sind die drei Glasfenster über dem Haupteingang. Das mittlere zeigt den Heiligen Olav, seitlich davon sind das Ålesunder Stadtwappen und der deutsche Reichsadler zu sehen. Die Fenster
waren ein Geschenk Kaiser Wilhelms II. an die Stadt. So sicherte er sich selbst einen prominenten Platz in der Kirche, denn der Reichsadler ist auch das Wappentier des Hauses Hohenzollern. Die drei Glasmalereien sind übrigens der einzige Beitrag zum Wiederaufbau der Stadt, die Wilhelm II. aus seiner Privatschatulle beglich. Weitere Informationen unter www.visitalesund-geiranger.com.

Literaturtipp: Ulrike Katrin Peters & Karsten-Thilo Raab: Oh, diese Norweger, Conrad Stein Verlag, ISBN 978-3-86686-803-8. Erhältlich ist der Titel, der auf augenzwinkernde Art und Weise Skurriles und Wissenswertes über die Norweger vermittelt, im Buchhandel oder direkt beim Conrad Stein Verlag.

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